4. sehend denken
– denkend sehen
Das wichtigste Merkmal der bildenden Kunst ist ihre Sichtbarkeit. „Kunst macht sichtbar“ (Paul Klee),
auch wenn durch sie etwas verborgen wird, denn dieses Verbergen kann nur im Sichtbaren erfolgen.
‚Ding‘ ist in der Welt der Sichtbarkeit all das, was sichtbar ist, auch wenn es erst sichtbar gemacht wurde bzw. sichtbar gemacht werden kann. Dieser Zusatz ist wichtig, weil die Beschränkung auf das bereits Sichtbare all das uns aus unserem Blick nimmt, was in unserer Welt zwar nicht offenbar aber gleichwohl wirksam ist. Der bildende Künstler sucht mit seinen bildnerischen Mitteln deren Wirksamkeit aufzuzeigen und zu verdeutlichen. Dieses ‚Aufzeigen‘ ist kein bloßes ‚Hinweisen‘, kein bloßes ‚Zeigen auf etwas‘ sondern darstellend immer auch ein ‚Bedenken‘ –
nur so kann das Werk auch ein ‚Bedenken‘ anstoßen.
Doch all dies kann nur in der Sichtbarkeit erfolgen. Insofern ist der bildende Künstler ein Übersetzer – er übersetzt Wirklichkeit in Bildlichkeit.
Bilder sind nicht das, was sie darstellen, und sie bringen nicht etwas nur zur Anschauung.
Sie handeln von dem, was sie darstellen.
Und das ‚Wie’ der Darstellung bestimmt das ‚Was’.
Bilder sind komplexe Aussagen, ja ganze Theorie-gebäude über uns und unsere Welt.
Allein ‚nach der Natur’ gemalt/ gezeichnet ist noch kein Bild entstanden.
Mit Immanuel Kant können wir Gedankending (Noumenon) und Sinnending (Phänomenon) unterscheiden. Gedankending können wir demnach all das nennen, womit wir uns gedanklich auseinandersetzen. Die Sinnendinge sind unseren Sinnen gegeben, sie sind also von unseren Sinnen wahrnehmbar. Die Kunst widmet sich aber nun keineswegs nur den Sinnendingen. Jedoch können wir in der bildenden Kunst uns mit beiden nur in der Welt der Sichtbarkeit auseinandersetzen und dazu müssen nicht erst allein die Gedankendinge sichtbar gemacht werden. Sichtbar gemacht wird unsere Auseinandersetzung mit beiden. Kunst ist insofern sichtbares Denken, Kunst-machen ist ein Denken in der Sichtbarkeit. Als Sinnendinge sind diese Werke der Kunst Teil unserer sichtbaren Wirklichkeit, doch wenn wir uns mit ihnen auseinandersetzen, werden auch sie zu Gedankendingen.